Der kalte Oktoberwind streicht durch mein Haar, meine Hände werden kalt, meine Nase färbt sich rot. Auch die Mauer, auf der ich sitze ist eiskalt. Aber aufstehen geht nicht. Ich sehe an mir herunter, versuche meine Beine und Hände dazu zu bringen, nicht mehr zu zittern, aber es geht nicht.
Nur ein dünner Drahtzaun trennt mich von den Schienen. Zwei Gleise nebeneinander, zwei Zugstrecken, alle zwanzig Minuten ein Zug, der an mir vorbeidonnert.
Wie leicht der nächste Schritt doch wäre. Dieser Zaun ist nichts. Zitternd führe ich meine Zigarette an den Mund und meine Gedanken kreisen um die Schienen.
Ich sehe Dave vor mir, sehe Jonas, sehe alle meine Freunde, fassungslos vor dem weißen Marmor stehen, sehe Verzweiflung, Unverständnis, Trauer in ihren Gesichtern.
Langsam gleite ich von der Mauer, ich habe keine Kraft mehr, mich aufrecht zu halten, kann dem Weinen nicht mehr standhalten.
Zusammengesunken sitze ich vor der Mauer und frage mich, wie lange ich das noch durchhalten soll.
Sonntag, 28. Oktober 2012
Dienstag, 9. Oktober 2012
SIEBENUNDVIERZIG
Die Sonne geht schon unter, die Nacht setzt langsam ein, als ich durch die Straßen von Hildesheim nach Hause gehe. Es ist unglaublich kalt, der Frost wandert durch die abertausend Kleiderschichten unter meine Haut, ich zittere.
Mein neues Buch an mich gedrückt hetze ich durch die Kälte. Mein Atem bildet kleine weiße Rauchwölkchen, überall sind kleine Wolken aus Atem, schweben in der Dunkelheit aus den Mündern und über die Köpfe der Menschen, als atmeten sie einen Teil ihre Seele aus.
An einer Ampel bleibe ich stehen. Autos fahren an mir vorbei, blinkende Lichter, Gespräche, Hupen, Nebelatem und Menschen um mich herum, aber ich habe nur Augen für dieses Buch.
Langsam fahre ich mit der Hand über den Einband, fühle die eingestanzten Buchstaben auf dem Buchrücken, blättere schnell durch die Seiten, mit der vagen Hoffnung, mir könnte etwas ins Auge springen.
Sanft öffne ich das Buch. Leise ächzend gibt der Leim nach, ich überblättere die ersten Seiten, fühle die Dicke des Papiers. Sie ist perfekt. Ich mag es nicht, wenn Papier zu dick oder zu dünn ist. Zu dünnes Papier reißt zu schnell, zu dickes Papier ist umständlich beim Umblättern und Umständlichkeit kann ich bei 451 Seiten nicht brauchen.
Meine Augen wandern zu den ersten Wörtern der Geschichte:
AIBILEEN
CHAPTER I
August 1962
Mae Mobley was born on early Sunday Morning in August, 1960. A church baby we like to call it.
Die Ampel springt auf grün, ich schrecke aus meinen Gedanken, schließe das Buch und blicke erneut auf das Cover.
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